Abschrift aus dem Nachrichtenblatt Nr. 19 vom Dezember 1936
Post Woldisch Tychow, Bad Polzin-Land, Kreis Belgard
Unter dem „Grundbesitz der Familie“, wie er auf den Seiten 146-167 des Familienbuches von 1930 aufgeführt ist, fehlen Angaben über das seit dem Jahre 1920 im Besitze des Vetters Kurt (N129) befindlichen Rittergutes Bergen.
Im landschaftlich so schönen – aber leider so wenig bekannten – Ostpommern gelegen, stellt Bergen wohl den einzigen landwirtschaftlichen Familienbesitz in den östlichen Provinzen des Reiches dar; gerade darum sollten Basen und Vettern aus dem Westen die nur vierstündige Eisenbahnfahrt Berlin – Schivelbein (oder Belgard) nicht scheuen, um diesen mit dem Namen unserer Familie verbundenen Besitz kennenzulernen.
Dem Besucher, der sich von Norden oder Süden her der halbwegs zwischen Belgard und Polzin gelegenen Bergener Hochfläche nähert, fällt als weithin sichtbare Landmarke gleich die vom Herrenhaus in ostwärtiger Richtung zum Buchberg ansteigende alte Allee des „Poetensteiges“ auf, und an deren höchsten Erhebung zwei hohe Türme, ein Holzturm der Landesaufnahme sowie ein schlanker Eisenbau mit dem Drehfeuer der Nachtflugstrecke Berlin – Königsberg.
Von der Straße Woldisch – Tychow – Groß-Rambin aus steigt eine Zweigchaussee zu Bergens Höhe an, vorbei an älteren wie jüngeren Waldbeständen; durch die Bäume des Parks leuchtet rechts das weiße Herrenhaus, während geradeaus die Hofgebäude erscheinen und links sich ein Blick in die groß gegliederte, abwechslungsreiche Landschaft auftut.
Der erste Eindruck vom Waldreichtum der Gegend wird durch Ausblicke auf die großen Forsten jenseits des Flusses Persante bestätigt. Über die Hälfte von Bergens Grundfläche (etwa 364 von 690 Hektar) deckt Waldbestand; der „Brotbaum des Ostens“, die Kiefer, herrscht vor, während im Buch- und Eichberg an der Persante wie am Buckowbach Laubholzwälder in landschaftlich schöner Lage zu finden sind.
Mehr als 180 Hektar Kieferschonungen stocken auf früheren Außenschlägen, welche wegen ihrer mangelnden Ertragsfähigkeit vom jetzigen Besitzer der forstlichen Nutzung zugeführt wurden. Diese Forstkulturen bergen jetzt mehr Rot- und Schwarzwild, als es dem Landwirt angenehm sein kann; der Schaden, den ein starkes Rudel Rotwild oder eine Rotte Sauen auf einem Ackerschlage anrichten kann, überwiegt doch des Jägers Freude am Anblick starker Hirsche oder guter pommerscher Böcke!
Während sich nun der Forst, Altholz wie Neukulturen, zumeist als Gürtel an den Grenzen Bergens entlangzieht, bilden die Ackerflächen mit ihren rund 245 Hektar größtenteils den sanft geneigten Südwesthang der Bergener Hochfläche; nach Norden und Osten hin fällt diese steil in mehreren Stufen zum Laufe der Persante ab.
Die Ackerböden, meist lehmiger Sand 4. – 5. Ertragsklasse, eignen sich wohl zum Anbau von Roggen, Hafer und Kartoffeln, nicht aber etwa für Weizen oder Zuckerrüben, bringen auch nicht die Erträge, welche vielleicht der westfälische Landwirt erwarten darf. Dafür ist auch das pommersche Klima zu rau (Nachtfröste im Juni) und die Vegetationszeit zu kurz.
Unter den Einflüssen des Klimas, der im Mai bis Juni üblichen Dürrezeit, leiden vor allem auch die der Zahl wie Güte nach geringen Wiesen und Weiden. Da trotz der an sich ungünstigen Futterverhältnisse ein großer Viehstapel zur Erzeugung des für den Hackfruchtbau nötigen Stallmistes gehalten werden muss, so können nur Silo-Anlagen mit ihren eingesäuerten, nährstoffreichen Futtergemischen über die Futternot des Sommers, die Brennerei mit ihrer Schlempe über die des Winters hinüber helfen.
Die Brennerei gehört ebenso wie die Kartoffeltrocknerei zu den unerlässlichen industriellen Nebenbetrieben eines ostdeutschen Gutsbetriebes; als weitere Nebenbetriebe werden von der Gutsherrin geleitet die Gutsgärtnerei und die Geflügelfarm.
Auf einem etwa 3 ½ Hektar großen Gelände, das nordwärts an das Dorf Bergen anschließt, befinden sich drei modern eingerichtete Geflügelställe, ein wirklich hübsches Farmhaus mit 2 Zimmern, Küche, usw., ferner Obstbaumpflanzungen, Gehölze und fischbesetzte Teiche. Kurzum, die Geflügelfarm Bergen stellt ein kleines Reich für sich dar!
Zwischen dem Wirtschaftshofe und der Farm erstreckt sich, in einer Mulde der Hochfläche, größtenteils um den Dorfteich gruppiert, das eigentliche Dorf mit den Wohnungen der Betriebsgefolgschaft. Hier wohnen außer drei Beamtenfamilien an die 24 Arbeiterfamilien in 11 Häusern; Baumgruppen wie die des Friedhofs und an der Brennerei ergeben ein freundliches Landschaftsbild.
Das in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts erbaute Herrenhaus liegt abseits vom Wirtschaftshofe, umrahmt von alten Baumbeständen in Park und Garten; in seinen klaren Linien passt es sich gut der Umgebung auf allmählich ansteigendem Hang an. Auch die innere Einteilung des Hauses ist klar und übersichtlich: In langer Flucht an der Vorderfront des Hauptgeschosses die Wohnräume, in der Mitte die grosse Halle, nach rückwärts heraus Speisezimmer und Veranda; im Obergeschoss Wohn- und Schlafräume der Kinder, Gäste und sonstiger Hausgenossen. Die Fenster des Obergeschosses gewähren einen weiten Blick ins schöne Pommernland.
Wie schon sein Name besagt, ist Bergen eine alte deutsche Siedlung im frühen slawischen Osten; unter den wechselnden Besitzern des Rittergutes erscheinen zunächst die bekannten pommerschen Adelsnamen; dann trat in den landwirtschaftlichen Notzeiten gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein häufiger Wechsel der Besitzer ein.
Im Frühjahr 1920 erwarb Vetter Kurt (N129) das Rittergut Bergen; der Wert vor dem I. Weltkrieg belief sich auf 450 000 Mark, der heutige (1936) steuerliche „Einheitswert“ auf 223 000 Reichsmark. Mit Hilfe seines Schwiegervaters, des inzwischen verstorbenen Generaldirektors Fahle – Reval, musste der neue Besitzer – meist in den Jahren 1920/21 – die vielen Schäden und Mängel beseitigen, welche Krieg und Revolution mit sich gebracht hatten. Insbesondere galt es, zahlreiche Wirtschaftsgebäude und Arbeiterwohnhäuser gründlichst wieder instand zusetzen, zum Teil auch neu zu errichten.
Durch all dies Instandsetzungen und Neubauten wie auch durch die stetige Pflege aller vorhandenen Betriebseinrichtungen entstand das äußere Bild eines ertragreichen Gutsbetriebes, das den Besucher leicht über die durch Boden und Klima veranlassten Schwierigkeiten der Bewirtschaftung hinweg täuschen kann.
Hoffentlich gelingt es dem derzeitigen Besitzer und seinen Nachfolgern, diesen Grundbesitz noch lange in der Familie zu behalten!
Nach Aufzeichnungen von Vetter Kurt N129
Den einzigen ostelbischen Grundbesitz der Familie stellt das Rittergut Bergen dar. Auch auf den Karten kleinsten Maßstabes war seine Lage leicht zu finden: der wichtigste Fluss Hinterpommerns, die bei Kolberg in die Ostsee mündende Persante, fließt in ihrem Oberlauf etwa in ost-westlicher Richtung; die Bergener Hochfläche veranlasste sie zu einer scharfen Biegung nach Norden, und dieser Knick des Flusslaufes bezeichnet Bergens Lage.
Wie der Name andeutet, liegt Bergen auf einem nördlichen Ausläufer des baltischen Höhenrückens, der Pommern durchzieht, in einer reich gegliederten, waldreichen Landschaft unweit der wegen ihrer landschaftlichen Schönheit bekannten „Pommerschen Schweiz“, in deren Bergen und Wäldern auch das Eisen- und Moorbad Polzin liegt. Die kuppige Endmoränenlandschaft weist beträchtliche Höhenunterschiede und an den Taleinschnitten der Persante und ihrer Nebenläufe manche Steilhänge auf. Bergens höchste Erhebung ist die Höhe 114.6, einige hundert Meter ostwärts von Herrenhaus, am Ende der zum Buchberg führenden alten Allee des „Poetensteiges“. Hier, auf der obersten der drei Talstufen über der Persante eröffnet sich eine wundervolle Aussicht weithin über die Felder und Wälder, Berge und Täler der abwechslungsreichen Landschaft.
In einer Mulde der Hochfläche gebettet lagen Gut und Dorf Bergen: am weitesten nach Süden, am Hange, das weiße Herrenhaus im großen alten Park, dann nach Norden anschließend die in mehrere Gebäudegruppen aufgelockerte Hoflage mit der Brennerei am Dorfteich und der Kartoffeltrocknerei als Abschluss. Um den von Baumgruppen umstandenen hübschen teich lagerten sich die Arbeiterwohnungen des Gutes,in das hier kein bäuerlicher Besitz eingesprengt war. Dieses schöne Dorfbild wurde im Norden begrenzt durch die Gebäude und Baumpflanzungen der Geflügelfarm.
Von Hof und Dorf als Mittelpunkt gingen die Ackerschläge aus, schöne Waldbestände, zum Teil Laubholz, bildeten den Übergang zu den meist an der Peripherie des Gutes liegenden Forstflächen. Trotz der Höhenlage fehlte auch Wasser nicht; in der Nähe des Dorfes befanden sich teiche z.B. in der Geflügelfarm; ertragreiche Fischteiche wurden in den Talgründen angelegt. An Ufern, Wasserstellen, Grenzrainen schafften Anpflanzungen, Remisen, Hecken, die nötige Deckung für das viele Wild: Rot- und Schwarzwild überwogen fast den guten Rehbestand. Wenige hundert Meter vom Hofe entfernt sah der Jäger die Hirsche stehen.
Der Besitz Bergen umfasste insgesamt 697,36 ha, davon etwa 364 ha Forstflächen. Die meist nach Südwesten geneigten Äcker gaben auf anlehmigem Sande befriedigende Ernten, soweit das bei dem rauhen Klima Hinterpommerns möglich war. Sie eigneten sich zum Anbau von Roggen, Hafer, Kartoffeln, aber auch von Luzerne und Winterfuttergemischen, die als Ausgleich dienten, da die geringen Wiesenflächen nur ungenügende Heumengen trugen. Die bei schlechtem Grünlandverhältnis sehr schwierige Frage der Futterbeschaffung für den großen Viehstapel wurde mit Hilfe von Gärfuttersilos gelöst.
Die Geschichte der Rittergutes Bergen spiegelt die wechselvolle Geschichte Pommerns, seiner führenden Landfamilien und die Entwicklung der ostdeutschen Landwirtschaft wieder. Nachdem etwa von 10. Jahrhundert ab die slawischen Pommern unter die Polenherrschaft geraten waren, kamen um das 13. Jahrhundert deutsche Grundherren in das Land, darunter auch die „Ritter von dem Wolde“. Diesem Geschlecht gehörte auch Bergen mit nur dreißigjähriger Unterbrechung bis zum Jahre 1796. Bis 1836 besaßen es dann die miteinander versippten Familien v. Borcke und v. Kleist und bis 1865 die alte pommersche Landfamilie Fick. Danach setzte leider mit den Notzeiten der ostdeutschen Landwirtschaft zum Schaden des Betrieben ein häufiger Besitzerwechsel ein. Der Rittmeister d.R. Wilke erwarb es 1907 und veräußertes es 1920 an den Vetter Kurt N129. Dessen Gattin, Gertrud geb. Fahle, erwarb am 1. Juni 1937 das Waldgut Biallen-Wilhelmshöh bei Wurchow, Kreis Neustettin. Auch dieses rechnete also zum Grundbesitz der Familie. Von den 562 ha umfassenden Gesamtareal entfielen etwa 72 ha auf den Biallensee, der mit der Westspitze die Chaussee Bublitz-Neustettin berührt, und auf den ostwärts anschließenden, von der Küddow durchflossenen großen Schnaunzsee, zwei fischreiche, von hohen waldbestandenen Ufern eingefasste Gewässer von hohen landschaftlichem Reiz.
Heute ist das Gebiet den Polen anheim gefallen und, solange es nicht gelingt, die Oder-Neiße-Linie wieder auszulöschen, ihren rechtmäßigen Besitzern verloren gegangen.
Nach einem Bericht von Vetter Klaus P55
Inzwischen schreiben wir das Jahr 2022 – es sind also Jahrzehnte vergangen zwischen heute und den im Familienbuch und dem Nachrichtenblatt geschriebenen Berichten.
Ich persönlich habe in meiner Jugend von dem Rittergut Bergen nur in Verbindung vom verlorenen gegangenen Borries Archiv gehört und kann noch nicht einmal sagen, ob dass so auch stimmt. Nach den ersten Bombenangriffen der Alliierten auf westliche deutsche Städte soll man sich wohl entschlossen haben, das Borries Archiv zur sichereren Verwahrung auf Rittergut Bergen zu verwahren.
In den Wirren des Krieges hat man dann wohl mehr ans eigene Überleben gedacht als an ein Archivmit Papieren und Bildern, sodass nach dem Zusammenbruch der Ostfront nicht nur das Rittergut Bergen von den Russen zerstört wurde, sondern auch alle Unterlagen des Archivs vernichtet wurden. Seit 1994 bin ich durch meine Rückkehr nach Deutschland und vor allem durch meine Frau Evelyn (Evi) im Borries Familienleben aktiver geworden und seit vielen Jahren im Familienverband als Schatzmeister tätig.
Durch Evi, geboren in Königsberg / Ostpreußen habe ich noch mehr über das verlorene Mittel- und Ostdeutschland erfahren und habe zusammen mit ihr schon oft den polnischen und russischen Teil Ostpreußens besucht.
Inzwischen ist Evi die Kreisvorsitzende des Kreises Preußisch-Eylau und trifft sich mehrmals mit polnischen und russischen Vertretern in der Partnerstadt Verden / Aller zusammen mit Vertretern des Landkreises und der Stadt Verden.
In Verbindung mit Evi’s Ehrenamt war auch in diesem Jahr wieder eine Fahrt nach Ostpreußen geplant.
Und somit wurde endlich die Entscheidung getroffen, auf der Fahrt nach Ostpreußen das Rittergut Bergen zu suchen, zu finden und eventuelle Borries Spuren zu entdecken.
Obwohl der polnischen Sprache nicht mächtig, halfen das Internet, Wikipedia, Übersetzungshilfen, Google-Maps und vor allem die beiden erwähnten Berichte unserer Vettern, das Rittergut in Bergen im ehemaligen Vorpommern zu lokalisieren.
Im Nachhinein war es sehr einfach, den Ort Bergen und damit die Reste des Gutes wieder zufinden. Man brauchte nur den Beschreibungen der Berichte zu folgen, die Namen in die polnische Sprache zu übersetzen, und mit einem guten Navigationssystem im Auto befanden wir uns nach knapp 2 Stunden Fahrt von Swinemünde aus auf der Landstraße nach Bergen.
In diesem Teil Vorpommerns hat sich seit 1945 nicht viel verändert. Man konnte die Ortsbeschreibungen der Berichte unserer Vettern eins zu eins übernehmen, um Bergen zu finden.
Man erreicht von Süden aus kommend den Ort und auch gleich am Ortsschild die alte Toreinfahrt rechter Hand zum Gut, was ja leider nicht mehr existiert. Selbst die Grundmauern sind nicht mehr zu erkennen aber mit etwas Fantasie kann man sich noch sehr gut die ehemalige Lage des Gutshauses vorstellen.


Der Ort und die Häuser sind alle unverändert, die Insthäuser (Arbeiterhäuser) sind noch vorhanden, teilweise verfallen oder auch noch bewohnt.
Bewohner haben wir nicht gesehen, vielleicht war man zu überrascht, ein Auto aus Deutschland zu sehen, an einem Ort, dessen Dorfstraße ins Nichts führt. Bergen liegt an einer Sackgasse umgeben von Wäldern und Feldern des ehemaligen Rittergutes. Statt Menschen entdeckten wir eine „tigergesprenkelte“ Katze, die sich um die Ecke eines neuen Lagerschuppens schlich. Neugierig wie wir an diesem Ort waren, verfolgten wir die Katze und entdeckten zu unserm Erstaunen an der Frontseite des Blechschuppens ein riesiges Bild des Gutshauses mit Lageplan und einer Beschreibung, in der unser Vetter Kurt N129 als Graf tituliert wird.


So etwas hatten wir in Polen noch nie gesehen. Man zeigte die Geschichte eines ehemaligen deutschen Gutes – Kurt und das Gut müssen doch einen positiven Eindruck hinterlassen haben. Weiter durchforschen wir das Dorf, fanden den beschriebenen Dorfteich, die Reste der Kornbrennerei und konnten uns somit gut das Leben in Bergen vorstellen.
Von unserem Archiv war natürlich nichts mehr zu finden, obwohl es mich in den Fingern juckte, doch hier oder dort einmal zu buddeln oder in verfallene Häuser zu gehen, um vielleicht noch Borries’sche Überbleibsel zu finden.
Für mich war es jedenfalls ein großer Tag und ein Erlebnis, die Spuren von Kurt zu entdecken.






Der Abschied von Bergen fiel mir schwerer als erwartet.
Ich kann jetzt auch Evi und meine Schwiegereltern sehr viel besser verstehen, die nach dem Krieg ihre Heimat, ihr Hab und Gut verloren haben und sich weiterhin danach sehnen, darüber sprechen und so oft wie möglich besuchten und besuchen.
